Samstag, 14. November 2020

Beruf Schriftstellerin

Auszug, SRF Kultur, 'Kontext' vom 12. November, 2020 (Transkription)
Bericht von Noemi Gratwohl, Zitatleserin: Ariana Schrager

"Wie meistern eigentlich Schriftstellerinnen ihren Alltag? Wie üben sie ihren Beruf aus? Das wollte Herausgeberin Ilka Piepgras wissen. Die Redaktorin der Wochenzeitung Die Zeit lässt in ihrer Anthologie Schreibtisch mit Aussicht, die eben bei KEIN & ABER erschienen ist*, bewusst ausschliesslich Frauen zu Wort kommen. Autorinnen wie Sibylle Berg, Anne Tyler, Eva Menasse oder Hilary Mantel. Spannende Fragen. Deswegen habe ich mir das Buch genauer angeschaut. 

Der Schriftstellerberuf ist herausfordernd, besonders für Frauen, für Schriftstellerinnen. Das macht die Lektüre der Anthologie Schreibtisch mit Aussicht klar. Noch immer gibt es dieses Gefälle zwischen Mann und Frau. Die deutsche Schriftstellerin Katharina Hagena erinnert sich in ihrem Text an eine Szene. Da ist sie, die so gerne mal einen Roman schreiben möchte, da sind die beiden Kinder, und da ist ihr Mann ohne Schriftstellerambitionen, der völlig überraschend von einem Verlag den Auftrag zu einem Buch erhält. Katharina Hagena schreibt:

'Ich erinnere mich an einen warmen Sommernachmittag als die Lektorin zu uns kam, und auf der Schattigen Seite des Hauses mit meinem Mann das Manuskript durchging, während ich vorne auf der Südseite mit meinen Kindern im Plantschbecken spielte. Das Wasser war schon ein oder zwei Tage alt, auf dem türkisfarbenen Plastikboden setzten die ersten Algen an, der mittlere Ring hatte kaum noch Luft, sodass der Rand ein wenig nach innen kippte. Das dreijährige Kind suhlte sich friedlich zu meinen Füssen, die Sonne schien, die Blumen blühten, und statt dankbar zu sein, stand ich im lauwarmen Wasser mit dem Baby auf dem Arm und heulte.'

Die Autorin heult, weil sie es sein sollte die schreibt und Besuch von einer Lektorin bekommt, und nicht ihr Mann. Sie, die Frau, ist mi den Kindern beschäftigt. In der Folge schafft es Katharina Hagena dennoch zu schreiben. Heute ist das ehemalige Baby auf dem Arm fast erwachsen, und die Schriftstellerin hat mit ihrem ersten Roman, Der Geschmack von Apfelkernen, der 2008 erschienen ist, Erfolge gefeiert. Weitere Romane folgten. Zeit am Stück zum Schreiben zu haben, sagt Hagena, sei ihr grösster Luxus. 

'Ich brauch Zeit am Stück um einem langen Roman den Platz zu geben den er braucht, und auch die Zeit zu geben die er braucht. Das ist ein langes Genre, also braucht man einen langen Atem, und braucht Raum und Zeit. Wenn man aber Kinder hat, ist man ohnehin fremdbestimmt, und die Zeit ist fragmentiert. Die Zeit wird zerstückelt von Abholungen und Mittagessen und Frühstück machen und allen möglichen Kindersachen, und diese Zeit am Stück, indem man sich tatsächlich nur um sich selbst und nur um seine Arbeit kümmert, ist so rar, und einfach so kostbar.' 

Die Schriftstellerin macht da ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern aus. 'Ich glaube tatsächlich, dass für alle Kinder zu haben, und den Alltag mit Kindern zu gestalten, vielleicht der grösste Einschnitt den man überhaut als Frau, oder als Mensch, wahrscheinlich als Frau, erleben kann - Männer müssen sich ja manchmal auch nur ein Foto auf'n Schreibtisch stellen und dann weitermachen wie vorher. Ich denke einfach immer noch, solange wir die Kinder gebären müssen, und stillen wollen, und vielleicht auch ein bisschen ihnen die Sprache beibringen wollen, müssen wir uns auch nach ihnen richten, und sind fremdbestimmt und unsere Zeit ist wahnsinnig fragmentiert.'

Natürlich gebe es auch Männer die bei der Kindererziehung mitmachen möchten. 'Aber manchmal ist es ja auch so, wenn man Kinder kriegt, dass dann erstmal auch weniger Geld reinkommt, und dann ist es auch schwer für den Mann seinen Beruf aufzugeben, damit ich meinen unsicheren Beruf weitermachen kann. Also es gibt wirklich auch Unwägbarkeiten, auch gerade finanzieller Art.' Das also die Analyse einer Frau im Jahr 2020.

Herausgeberin Elka Piepgras bringt es in ihrer Einführung auf den Punkt. 'Heute wie damals, stellt sich den Schriftstellerinnen das Leben in den Weg.' 

Frauen würden sich im Alltag schlechter abgrenzen können, sagt Ilka Piepgras. 'Frauen fühlen sich schon eher für alles zuständig, während Männer leichter mal sagen, so ich mache jetzt die Tür zu und es interessiert mich nicht was da draussen passiert. Das mag sich jetzt alles verändern. Es tut sich ja viel in den Geschlechterverhältnissen. Aber ich glaube schon, dass es noch eine sehr weibliche Verhaltensweise ist, eben selbst wenn die Tür zu ist, darüber nachzudenken ob da draussen alles gut läuft.'

Frauen schreiben unter erschwerteren Bedingungen als Männer. Das wurde Ilka Piepgras klar, als sie zufällig auf einen Aufsatz der US-amerikanischen Schriftstellerin Anne Tyler stiess. Er hiess Still just Writing. 'Und der hat mich wirklich umgehauen. In diesem Text hat sie auf sehr feine Art beschrieben wie sie jongliert zwischen ihrem Alltagsleben, zwischen ihrem Leben als Mutter von damals noch kleinen Töchtern, und der Arbeit als Schriftstellerin, die ja sehr viel Konzentration, sehr viel Zurückgezogenheit erfordert. Wie sie eben zwischen diesen beiden Welten jongliert, und wie sie fröhlich dann ihren Roman aufgeschoben hat, aber dann am Ende doch geschrieben hat. Also es war irgendwie ein Text, der Hoffnung gegeben hat, dass man es doch schafft diese grosse Aufgabe mit so alltäglichen Dingen wie Kinder beaufsichtigen, Pflaster auf Wunden kleben, Fragen beantworten, vereinbaren kann.'

Für sie war schnell klar, diesen Arbeitsalltag von Schriftstellerinnen möchte sie genauer unter die Lupe nehmen. Deswegen hat sie Autorinnen gebeten, für das Buch Einblick in ihr Leben zu geben. 'Die grösste Überraschung war auch die grösste Freude, war wieviel offene Türen ich da eingerannt hab. Wenn ich Frauen angeschrieben hab, gefragt hab, hab ich so oft gehört, Oh, da wollt ich schon immer was drüber schreiben. Und so dieses Gefühl, dass sich da soviel angestaut hat, dass es gut ist da mal ein Ventil zu öffnen.'

Autorin Anne Tyler schreibt in ihrem Essay nicht nur davon wie schwierig es ist Zeit zu finden um zu schreiben, sondern auch von der schreibenden Frau an sich. Die, so ihre Analyse, werde nicht ernst genommen. 'Neulich stand ich auf dem Schulhof und wartete auf eins der Kinder, als eine andere Mutter auf ich zukam. 'Haben sie schon Arbeit gefunden?' fragte sie. 'Oder schreiben sie nur.' Anne Tyler, 1941 geboren, bennent etwas was ihre Berufskolleginnen ebenfalls gut kennen. So auch die französiche-marokkanische Schriftstellerin Leila Slimani, die 40 Jahre jünger ist. Auch sie hat Kinder, und beschreibt folgende Szene.

'Als ich meinen Job kündigte um zu schreiben, sagten meine ehemaligen Kollegen, 'Ach so, du willst Zeit mit dienen Kindern verbringen.' Und ich sagte, 'Nein, ich will schreiben.' Und sie sagten, 'Das ist schön, dann verbringst du Zeit mit deinem Kind.' Und ich sagte, 'Nein, ich will arbeiten.'

Damit spricht die Schulhofbekannte etwas offen aus, was viele Schriftstellerinnen sonst unterschwellig erfahren. Eine schreibende Frau wird nicht als berufstätige Frau wahrgenommen. Ist dies ein strukturelles Problem? 

Die deutsche Schriftstellerin Katharina Hagena, die auch Literaturwissenschaftlerin ist, findet ja. 'Ich glaube schon, dass es ein strukturelles Problem ist, indem wir auch ein bisschen verhaftet sind, und indem auch Männer wahrscheinlich schwer raus kommen. Virginia Wolfs Credo, dass man ein eigenes Zimmer, aber auch 500 Pfund im Jahr braucht, ist aktueller denn je. Diese finanzielle Unabhängigkeit ist schwierig aufrechtzuerhalten, wenn man Kinder hat. Und dann sofort wieder einsteigen muss aber mit was? Wenn man sofort wieder einsteigen muss, ist es gut wenn man ein regelmässiges Einkommen hat, was man aber als Schriftstellerin nicht haben kann. Gerade wenn man vielleicht auch ein bisschen länger für ein Buch braucht, und nicht nur wie vielleicht manche andere gewzungen sind jedes Jahr ein Krimi rauszuhauen, auch aus finanziellen Gründen. Also da gibt es einfach grosse Diskrepanzen in Bezug auf Freiberuflichkeit, geregeltes Einkommen. Und wenn man schreiben will, muss einer ein geregeltes Einkommen haben, das heisst, man hat mehr die Kinder an der Hacke.'

Denn meistens sei es der Mann der über das geregelte Einkommen verfüge. Die britische Schriftstellerin Virginia Wolf hat in ihrem berühmten Essay A Room of One's Own bereits 1929 die Forderung nach einem eigenen Zimmer und 500 Pfund Einkommen aufgestellt. Hat sich denn seither nur wenig verändert?

'Nein. Ich finde es hat sich natürlich viel geändert. Allein, dass Frauen tatsächlich auch Besitz haben können. Also, Virginia Wolf durfte auch schon Besitz haben, aber in Deutschland zu der Zeit noch nicht, zum Beispiel. Also, es ist auch möglich für Frauen mehrere Sachen haben zu können, berufstätig zu sein, Schriftstellerin zu sein, Kinder zu haben, und trotzdem finanziell abgesichert zu sein. Es ist möglich, aber die Freiberuflichkeit und Unabhängigkeit, die ja immer auch ein Risiko mit sich birgt, ist tatsächlich nicht so viel anders als am Anfang des 20ten Jahrhunderts.'

Die Literaturwissenschaftlerin macht noch einen anderen Grund aus, warum es der Schriftstellerinnenberuf so schwierig hat von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Weil Frauen sich jahrhundertelang nicht das eigene Leben verdienen durften, konnten sie folglich auch nicht Schriftstellerinnen sein. 'In dem Moment wo du verheiratet bist, bist du nicht mehr selbst bestimmt. Und die Möglichkeit der Frauen in der Geschichte zu schreiben war, zum Beispiel, Nonne zu sein, in Frauengesellschaften zu leben, nicht verheiratet zu sein, alte Jungfer zu sein. Und damit auch natürlich am Rand der Gesellschaft zu stehen. Das war immer die schreibende Frau, stand auch oft am Rand der Gesellschaft. Jane Austin ist unverheiratet und wurde mi tgeduldet, von ihrer Verwandtschaft ein bisschen ausgehalten. Hat dann zwar selber verdient. Auch die pro- oder prä- oder protofeministischen Autorinnen wie Hildegard von Bingen, das waren Nonnen. Christine de Pizan** musste ihren Haushalt überhaupt erst finanzieren, konnte erst als Witwe, aus Geldnot, schreibe. Also, es gibt schon die Frau am Rand der Gesellschft, die unabhängige Frau, aber die Frau in der Gesellschaft, als verheiratete utter, da ist es nicht mehr so vorgesehen.'

Herausgeberin Ilka PIepgras betont, dass Schreiben als Beruf insgesamt nicht als vollwertig angesehen werde.

'Ja, es ist eine Hrabwürdigung des Schreibens, weil es nicht als Arbeit angesehen wird, sondern als Hobby oder Zeitvetreib. Es gibt auch noch ein anderes Ztat im Buch von Hilary Mantel, die sagt, dass sie immer wieder gefragt wird, ob sie jeden Tag schreibe oder nur wenn die Inspiration kommt. Una das, sagt sie, ist auch 'ne Beleidigung, weil natürlich schreibt man als Schriftstellerin immer und relgelmässig weil es ja Arbeit ist. Also, diese landläufige Vorstellung, dass Schreiben ein Hobby ist, die ist doch ganz stark noch verhaftet. Und die bezieht sich aber interessanterweise auch mehr auf Frauen als auf Männer.'

Noch pointierter drückt es die österreichische Schriftstellerin Elfride Yelineck im Buch aus.

'Mir fehlt in der Debatte um weibliche Kunst und Weiblichkeit im Öffentlichen immer ein einziges Wort: Verachtung. Seltsamerweise spricht es nie jemand aus, nicht einmal Feministinnen. Vielleicht weil sie es sich nicht eingestehen wollen. Doch es ist bezeichnend für das, was die Frau für ihre Arbeit bekommt, auch wenn das eben nicht ausgesprochen wird. Die Verachtung des weiblichen Werks. Lustig ist es ja immer Aufzählungen von Künstlern zu lesen. Wenn es um den Kanon, um Verewigung geht, wird an kaum je eine Frau in den Aufzählungen finden können.'

Katharina Hagena schreibt in der Anthologie einerseits von diesen äusserlichen Umständen. 'Man muss leben, essen, arbeiten, eventuell noch Kinder versorgern. Andererseits gibt es das innere Selbstverständnis. Bin ich wirklich Schriftstellerin? Kann ich was? Werd ich dafür akzeptiert?
Ja, es hat natürlich auch was vermessenes, find ich, wenn man irgendwie losgeht und sagt "Ich bin Schriftstellerin. Ich bin Künstlerin. Ich mach das jetzt. Ich schreib jetzt." Das ist nicht das demütige Mädchen, das ich sein sollte. Ich hab' auf Lehramt studiert für meine Eltern obwohl ich mich nie als Gymnasiallehrerin gesehen habe und es auch nie war. Aber es war völlig klar, dass ich auf so'n Beruf hin auch studieren soll, der auch mit Familie vereinbar ist. Und Sprachen ist ja auch schön weiblich. Also ich glaube schon, dass wir immernoch, obwohl meine Eltern relativ aufgeklärt waren, immernoch in solchen Zwängen und solchen Kategorien denken.'

Allen Widrigkeiten zum Trotz, etwas kam für Katharina Hagena nie in Frage, keine Schriftstellerin zu sein.

'Weil ich schreiben muss. Weil ich mir nur schreibend meine Welt erklären kann. Oder nur schreibend letztlich Wahrheiten finden kann, die jeder auf irgend'ne Weise ja sucht und versucht zu finden.'

Die österreichische Autorin Eva Menasse vergleicht Schreiben sogar mit der Liebe.

'Weder beim Schreiben noch beim Lieben bekommt bekommen wir jemals, wie beim Finanzberater, die verschiedenen Anlageformen angeboten: konservativ, moderat, riskant. Es steht immer nur die hochriskante zur Verfügung. Ja, es gibt auch Menschen mit Vernunftsehen: Ich erwarte nicht viel, daher kann ich nicht enttäuscht werden. Aber das würden wir wohl nicht Liebe nennen. Ja, es gibt Menschen mit Vernunftstexten: Ich bleibe bei dem, was schon einmal gut geklappt hat. Aber das wollen wir nicht Schreiben nennen.'

Dementsprechend ist die Anthologie Schreibtisch mit Aussicht durch den ganzen Band eine Liebeserklärung ans weibliche Schreiben."


* https://keinundaber.ch/de/literary-work/schreibtisch-mit-aussicht/

** https://www.muellerundschindler.com/christine-de-pizan-die-erste-autorin-der-geschichte/

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