Donnerstag, 6. Februar 2014

Stream of consciousness an einem sonnigen Donnerstag

Ich schreibe nur ungern unschöne Sachen mehr, doch es geht mir beschissen und ich schäme mich nicht. Will diese bitteren Gefühle irgendwie loswerden. Wie soll ich sie loslassen? Wo es genau anfing weiss ich nicht. Sagen wir Mal, letzten Sonntag bei der Predigt. Da sprach der Diakon über die Hölle der Bitterkeit, Eifersucht, Wut und dergleichen. Er verbildlichte dies durch einen metalligen Mülleimer in den er mit solchen Gefühlen beschriftete Papierrechtecke warf, oder sie mit Zangen daran befestigte. Von den Zangen, sprach er als ein sich klammern. Die Zangen waren stark und es brauchte viel Kraft um sie auseinanderzukriegen, um vom höllischen Papierfetzen, also des bitteren Gefühls, loszulassen. Dagegen stand ein aus Holz, in gross geschriebenen Buschstaben, Gerüst der Hoffnung.  Seine Antwort auf das verzangte Bittere war die Kraft, die man daraus schöpfen kann, klar aus der Hoffnung, und konkret aus dem sich auf das Gute im eigenen Leben konzentrieren, das wofür man Gott danken darf. Danken, kann ich Gott auch für meine unschönen Gefühle.

An den verdammten Zangen kleb ich noch, spiegelverkehrt, drücken will ich, diese hässlichen Fetzen loswerden. Doch es drückt sie nur enger. Wie Sand in den Händen den man mit Gewalt an sich reisst und sich davon macht. Das Gegenteil also geschiet, von dem was ich mit Kraft zu bewirken erhoffe. Da kommt mir wieder die sanfte Stimme der Buddhisten in den Sinn: Gleichmut. Oder Jesus: Liebe, Vergebung und so weiter. Bringt alles nichts! Was ich empfinde ist stark, ist jetzt, oder immer wieder: Wut, Verbitterung, Unzufriedenheit, ja manchmal Neid! Und zwar auf jene die in meiner Vorstellung es schaffen, sich im Glück zu baden, keinen Hass zu empfinden, nur liebend, gelassen und zufrieden zu sein. Mich plagen Klagen, die jener, die Scheiss mit sich herum tragen und die meines eigenen zweideutigen Daseins. Mich ekelt an mein Versagen, mit Würde die Kleider der Toten zu tragen. Kritik, überall Kritik. Auch Selbstkritik, oder vor allem! Kritisier deinen Nächsten wie dich selbst.

Dann Montag ab zum Pflegeheim mit der Mama. Gespräch mit der Krankenschwester. Seit Wochen vergiesse ich viele Tränen der Trauer meiner Mutter wegen, die an fortgeschrittenem Alzheimers erkrankt. Ich weiss schon länger davon und nahm es immer mit einer rationalisierten Gelassenheit. Mit Gefühlen setzte ich mich nicht auseinander. Da habe ich ja auch noch gekifft, womit ich seit Anfang Jahres konsequent aufgehört habe. Jetzt darf ich das Leben, und mein Innenleben, in seiner ganzen Nüchternheit erfahren. Jetzt, da ich diese Krücke weggeworfen habe, falle ich noch viel härter auf die Schnauze. Mann, wie oft denk ich nicht noch, ich brauch einen Joint! Doch ich weiss, ich werd mich genauso fühlen wie ohne, nur etwas müder. Meine Gedanken sind klarer, meine Gefühle roh. Es tut weh, es brennt in der Seele, als wär sie schon tot. Dabei lebt sie noch. Die Tränen kommen wieder. Es brennt auf der Haut, Tränen die mir die Augen und das Gesicht verätzen. Da steckt nämlich noch mehr dahinter. Eine Familiengeschichte im Gefühlsstaccato.

In geringerem Mass, habe ich es bei meinen Grosseltern erlebt, dieses Trauern, als sie gestorben sind. Da kamen Erinnenrungen und Gefühle hoch, die mit meiner Beziehung zu ihnen zu tun hatten, und mit meiner Wahrnehmung ihrer Umstände. Ich empfand Leid für ihr Leid. Ich empfand Schuldgefühle für das, was ich nicht gemacht hatte. Bei meiner mexikanischen Oma war es, sie nie zurückzurufen als sie mir eine letzte Nachricht hinterlassen hatte. Es war aus Feigheit, dass ich es nicht tat. Sie hatte einen Hirnschlag erlitten, nach einem Sturz, bei der Operation. Dannach war sie entstellt. Mit Mühe erlangte sie das Sprachvermögen zurück, weder Schreiben noch Laufen konnte sie in ihrem letzten Lebensjahr. Das war eine Qual, sie war Dichterin. Ich hatte Angst vor dem Gespräch mit ihr, wusste nicht recht was ich sagen sollte, hatte Angst vor meinen Gefühlen. Es füllt mich noch heute mit Scham und Schmerz. Schob das Gespräch immer vor mich hin, dann war sie tot. Bei meinem schweizer Opa war ich schon lange nicht mehr zu Besuch gewesen, obwohl meiner Eltern Haus auf der anderen Strassenseite ist. Es verlangte mir irgendwie schon genug ab, sie zu besuchen. An jenem Tag, als seine Lungen versagten, ein Pfeiffenraucher, fuhr ich an seinem Haus vorbei und winkte vom Auto. Er stand am Fenster. Sein Gesicht hat sich in meine Erinnerung geprägt. Er war traurig, enttäuscht. Ich besuchte ihn mit den Kindern im Krankenhaus in den Tagen vor seinem Tod. Aber die Schuldgefühle, ihn nicht mehr zu Hause besucht zu haben, ihn wohlmöglich verletzt zu haben, gaben der Trauer eine zusätzlich bittere Note.

Mama war drei Monate mit Papa in Mexiko bei ihrer Familie, wo sie Krankenschwestern umsorgten. Sie braucht viel Pflege, kann nicht allein sein. Orientierungslos. Sie kann das Meiste selber nicht mehr, Erinnerungen sind auch gering. Kennen tut sie uns zwar noch, meistens. Ich finde es schwer zu beschreiben. Sie kratzt sich auch immerzu am Gesicht oder der Brust, den Schultern, wo sie hin langen kann. Das hat in Mexiko schwer gebessert. Das war Montag Thema mit der Krankenschwester im Pflegeheim. Ich meinte, es sei wegen der ständingen Gesellschaft, dass sie entspannter sei. Ja, meinte die Frau, es sei ein kulturelles Problem. Die südöstlichen Länder viel geselliger, immer Leute um sich rum. Aber hier sei man lieber allein. Es könne nicht 24 Stunden am Tag jemand bei ihr sein. Ich sprach von menschlicher Wärme. Sie meinte die Familie sei ja auch nicht da. Das verursachte bei mir einen Dammbruch. Wir setzten uns in die Cafeteria mit Mama wo die Mitarbeiter ihre stundenlange Cafepause noch genossen. Ich motzte die ganze Zeit rum, wie mich das ärgerte, diese arrogante Art der Schwester. Was die Pflegeleute im Büro rumhocken, dann eine lange Cafepause machen und die Patienten allein rumhängen, während die Pflegeleute zusammensitzen. Da sehne sich keiner nach Alleinsein. Ich war sehr wütend. Da nehme ich die Mama lieber zu mir nach Hause. Schlechte Idee. Das hat keinen Sinn, der Papa, dann bist du am Ende auch krank. Irgendwann liefen mir nur noch stille Tränen übers Gesicht. Wenn ich fühle, kann ich es nicht aufhalten. Dann kam die Krankkenschwester und setzte sich auf einen Kaffee zu einer Gruppe am Tisch neben unserem. Mich überkam der unüberwindbare Impuls sie zu konfrontieren, trotz meiner Tränen. Ich fand es gar nicht gut, was sie da zu mir gesagt haben, fing ich an, die Tränen kullerten, meine Stimme wackelte. Sie lachte. Schön, dass sie lachen können, warf ich ihr sarkastisch entgegen, und ein Wasserfall kam aus meinem Mund. Es ist doch keine einfache Entscheidung die Mutter in ein Heim zu geben, ich habe zwei kleine Kinder zu betreuen, es ist nicht gerade billig hier bei ihnen, und doch nehme ich meine Mutter lieber zu mir nach Hause unter solchen Umständen. Sie konnte sich ihr Schmunzeln nicht unterdrücken, so quasi lachte sich ins Fäustchen. Diese emotionale Frau in aller Öffentlichkeit am weinen. Ich finds toll, dass sie es lustig finden, sagte ich, ich kann nicht lachen. Endlich hörte sie auf. Ich fuhr fort und sie wollte mich unterbrechen. Hören sie mir doch Mal zu, verstehen sie mich nicht falsch. Meine Instensität wuchs. Nein, jetzt hören sie mir feritg zu, dann höre ich ihnen zu. Es sei nicht als Vorwurf gemeint gewesen, sie hätte bloss die Situation beschrieben. Ich befände mich in einem Spannungsfeld zwischen den Schuldgefühlen und der Einsicht die Mutter ins Heim geben zu müssen. Ja, denke ich, ein Spannungsfeld dass sie vorzüglich zu treffen wusste. Sie sei froh, wenn man offen über etwas sprechen könnte anstatt dann komisch einander zu vermeiden, sie habe ja auch Eltern. Bla bla bla. Das Ende war diplomatisch, anständig. Na ja, plus mein verheultes Dasein.

Heute hasse ich sie immer noch. Dieser Schmerz, diese Angst treiben die schlechten Gefühle voran. Ich empfinde Wut, Empörung. Und nicht nur wegen der oben geschilderten Geschichte. Da kommen andere Dinge hinzu, andere Menschen. Und warum nicht, die ganze verkackte Bande an sich! Mit ihrer Masslosigkeit und Oberflächlichkeit. Ich bin vom Menschen enttäuscht, mag meine eigene Menschlichkeit nicht. Heute empfinde ich diesen Optimismus nicht, die Liebe, Vergebung, Gelassenheit nicht, die mir ja sonst so am Herzen liegt. Ich fühle mich wie eine Versagerin, weil ich es nicht schaffe gehobenen Hauptes mit einem Lächeln das entgegenzunehmen was mir der Liebe Gott auftischt. Nein, ich leide und weine und bin schlecht gelaunt. Ja, ich hab keinen Bock nochmal einen Fuss in das Heim zu setzen und vermisse meine Mutter doch. Gibt mir diese Erfahrung die Möglichkeit mich zu distanzieren, um wieder Kraft zu schöpfen?

Es ist schwer das zu hinterfragen, was schon passiert ist. Gott hat es ja aus einem Grund so sein lassen. Ja, aus Gewohnheit ist es für mich der Liebe Gott, vielleicht brauche ich eine Art spirituelle, allmächtige Bezugsperson. Ich denke auch an das Leben, oder Mutter Natur, oder die Kraft des Universums, oder fliessende Energie, Lebensrhytmen, Meister der Erleuchtung und ihre Lehren ... was sich für mich in "Lieber Gott" zusammenfasst. Ich sage den Kindern, er sei der Chef von allem. Mir ist egal, dass es sich um ein "Er" handelt, der patriarchalen Tradition mir bewusst, auch einer gynaikokratischen Geschichte mir bewusst, einer Grossen Göttin. Der Rosenkranz besteht ja abwechselnd aus Ave Maria und Vater Unser, hey, hauptsache da ist wer, der bedingungslos liebt, mich wie sonst niemand kennt, und mir auch durch unangenehme, schmerzhafte Erfahrungen zum Frieden und zum Glück verhilft, was auch immer das heissen mag, Er wird es am besten wissen. Heute hat Er mich im Fühlen des schmerzhaft Tränenhaften. Vielleicht, vielleicht hoffentlich, sieht es morgen wieder anders aus, oder schon im nächsten Moment? Es dauert diesmal wieder länger. Die Gefühle kommen ja auch nicht von nirgends her. Die Tränen sind bloss die schmelzende Spitze eine Eisbergs. Gehört dazu. Ich denke an das Yin Yang, and Gegensätzlichkeiten. Ist Trauer das Gegengefühl der Glücks? Ich glaube nur Glück, ist nicht möglich, nicht menschlich. Da denk ich nämlich an einen buddhistischen Mönch, der von seiner Trauer sprach als ein: ich konnte nicht essen, nicht schlafen, ich empfand Wut. Er hörte nicht auf Mönch zu sein, auch zu meditieren nicht. Doch war es das, was er empfand. Nun kommt es darauf an, was man tut, egal was für Gefühle einen begleiten mögen. Jetzt ist Essenszeit. Kochen für die Kinder und mich. Die Sonne scheint. Dann einen Spaziergang mit Chelita und den Kindern. Soll er schmelzen dieser Eisberg, soll er doch.

Dankbar bin ich noch, auch dafür, dass ich mich ausdrücken darf.

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