Mittwoch, 10. Oktober 2012

Wolf im Menschenmantel

"Scheiss auf alles, isch hab die Schnauze voll!" schrie sie auf. "Sei froh, dass du kein Mensch bist!" sagte sie zum Baum durch ein tränenverschmiertes Gesicht im nächtlichen Regen auf der Landesstrasse, wo die Kühe sie bei Tag oft mit ihren Augen anstrahlen "Sind wir froh, kein Mensch zu sein!" Und die Schafe auf der Weide wissen bescheid wenn sie vorbei spaziert, "Sie tut uns nichts." Nein, denkt sie, heute nicht. "In den Nacken beissen werd ich euch bestimmt nicht," lacht sie zurück. Mensch sein, was für ein Witz manchmal! Warum tut sie sich das an, immer wieder schon seit jeher, wer weiss wieviele Leben lang. Homo homini lupus est? Lupus lumini homo est! Der Idealismus stirbt zuletzt, so kam sie aufs Mal nochmal. Mensch sein ist so geil! Aber wie doof und abartig das menschliche Gewand doch auch sein kann. Als Raubtier in der Wildniss sind die Regeln klar, im Rudel weiss jeder seinen Platz. Aber das Chaos der menschlichen Barmherzigkeit und Nächstenliebe, der Gutgläubigkeit, ja Blauäugigkeit kann die Umstände räuberischer Lebenssauger manchmal nur schwer ertragen. Sie will lieber wieder Raubtier sein. Nur gibt es kein zurück mehr. Sie hat sich ja aus bestimmten Grüden zu diesem Weg bekehrt. Weil sie an die Menschheit glaubt, weil sie sie fasziniert. Sie glaubt an das Gute in ihr. Dieses Erdlings existentielle und kreative Gestaltungsmöglichkeiten sind scheinbar grenzenlos. Des Menschenmantels Potential ist von einer ja ausserirdischen Schönheit. Atemberaubend leider nicht nur im positiven Sinne. Zurück zur gewöhnlichen Gegenwart: sie hatte einfach keinen Bock mehr. Ihre Empfindlichkeit, ihr Idealismus gingen ihr auf die Nerven und die Wut kochte in ihr gleichzeitig wieder hoch. Eine kalte Wut, wie die eines erbarmungslosen Winters auf der Eiswüste, ein jener der ihr ihre Welpen zur Speise gemacht hatte. Ein wilder Hunger kroch wieder aus einem verborgenen Loch. Einer Wölfin gnadenlose Jagd bahnte sich an. Das Jaulen des Welpenjungen war bei abnehmendem Mond nicht zu überhören. Ein Dauerregren machte die Wälder fruchtbar, den Boden nass. Der letzte Herbst vor der übersinnlichen Wende würde sie mit einer dunklen Neumondnacht bescheren um erneut zur Musik einer mysteriösen Beute zu tanzen.

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